Keine Angst vor schnellen Sechszehnteln oder schweren Stellen!

Zwei berühmt-berüchtigte Übetipps unter der Lupe

Bestimmt kennst Du sie auch: Die berühmten Tipps zum Üben schneller und schwerer Stellen „langsam üben“ und „wiederholen, wiederholen, wiederholen“.

Wenn es Dir wie mir geht, gibt es nichts Schlimmeres als viel Zeit für’s Üben zu investieren und dann doch nicht den gewünschten Erfolg zu sehen.

Deshalb möchte ich mit Dir in diesem Artikel die zwei berühmt-berüchtigten Übetipps genauer unter die Lupe nehmen.

  1. Werde ich möglichst kompakt zusammenzufassen, was hinter diesen Tipps steckt, also warum wir so üben „sollen“.
  2. Gebe ich Dir Ideen an die Hand, wie Du Deine schweren Stellen und schnellen Sechszehntel mit Hilfe dieser Tipps clever üben kannst.

Denn ja, natürlich habe auch ich keinen Zauberstab für Dich parat, mit dem Du jede Stelle ohne Zeitinvestment in den Griff bekommst. Aber mit mehr Verständnis dafür, wie Du besser üben kannst, kannst Du Dir sicherlich einige Stunden und vor allem auch jede Menge Frust ersparen.

In meinem Klarinettenstudium zur Profimusikerin haben ich viele, viele Stunden am Tag geübt und mich immer gefragt, wie das effektiver und mit mehr Abwechslung gehen kann. Seit rund 10 Jahren arbeite ich nun mit Amateurmusiker:innen zusammen. Von dieser Erfahrung profitierst Du in diesem Beitrag.

Zwei berühmte Übetipps für schnelle Sechszehntel und schwere Stellen unter der Lupe

#1 Langsam üben und dann mit Metronom schneller werden? Oder was ist das richtige Übe-Tempo?

a) Langsam üben, nicht warum Du denkst 😉

Kommt es beim langsam Spielen wirklich auf das Tempo an? Jein, würde ich sagen.

Zu einem Teil geht es um das Tempo, zu einem anderen darum, was dieses Tempo möglich macht.

Lass uns dazu folgende Frage klären:

Warum wollen wir langsam spielen?

Bei langsamen Tempi können wir uns besser auf Details konzentrieren und sie auch kontrollieren z.B. Bewegungen oder den Klang.

Spielst Du langsam, kannst Du zum Beispiel viel besser Verspannungen im Körper wahrnehmen. Das ist u.a. wichtig, wenn Du Tempo in Stellen bringen willst. Denn viel Spannung macht es unmöglich, schnell zu sein.

Im Unterricht nutze ich hier zur Verdeutlichung immer das Bild von Sprintern und Sprinterinnen.

Hast Du sie schon einmal vor dem Start bei einem 100-Meter-Rennen beobachtet?

Meist hüpfen sie vor den Startblöcken herum, schütteln Armen und Beine aus. Warum machen sie das? Genau, um ihren Körper zu lockern bzw. locker zu halten. Denn wenn zum Beispiel die Schultern oder die Hüfte fest werden, können Sie einfach nicht schnell sein.

In dem Interview mit der momentan erfolgreichsten deutschen Sprinterin Gina Lückenkämper, geht sie kurz auf die Auswirkungen einer festen Hüfte auf die Schnelligkeit beim Sprint ein. Schau Dir das Video gerne mal an. Es hält auch noch andere schöne Parallelen zum Üben bereit.

Beim langsam Spielen hast Du also mehr Spielraum Dinge bewusst wahrzunehmen. Das ist gerade zu Beginn mit einer Stelle wichtig und eine gute Vorbereitung auf Schritt zwei.

b) Clever Schnelligkeit üben

Nun haben wir uns das langsam Üben einmal genau angesehen.

Ein wichtiger erstes Schritt, um Dich sortieren zu können.

Mindestens genauso wichtig ist es aber auch, Variation in das Tempo beim Üben zu bringen.

Denn zu lang im langsamen Tempo zu bleiben, kann uns sogar daran hindern, richtig schnell werden zu können. Das Tempo kann sich „einbrennen“ und wir kommen nicht mehr davon los.

Eine weitere Gefahr: Wir üben Abläufe oder Bewegungen ein, die im schnellen Tempo nicht mehr funktionieren.

Aber was kannst Du tun, wenn die Stelle einfach noch nicht schneller geht?

Drei fixe Tipps, wie Du Dein Üben anpassen kannst, wenn die Stelle einfach nicht schneller gehen will

  1. Wähle einen kleineren Übe-Abschnitt, den Du in einem schnelleren Tempo spielen kannst. Im Extremfall kann das auch nur eine Tonverbindung sein.
  2. Übe die Passage in einer Variante z.B. punktiert. Damit trainierst Du schnelle Bewegungen, ohne direkt alle Tonverbindungen schnell spielen zu müssen. Würdest Du hier gern mehr in die Tiefe gehen, könnte mein Kurs „Schnelle Läufe üben“ interessant für Dich sein. Hier bekommst Du wertvolle Strategien und Tipps zum Üben schneller Sechszehntel und Läufe, die Du direkt auf Deine Noten anwenden kannst.
  3. Bei einem höheren Tempo können wir uns nicht mehr auf einzelne Töne konzentrieren. Stattdessen ist es wichtig in größeren Einheiten zu denken und zu spüren. In der Fachsprache ist diese Vorgehensweise auch bekannt als chunking, also das Bündeln von Informationen. Chunking in der Musik kannst Du Dir wie beim Lesen vorstellen. Wenn wir auf ein unbekanntes Wort stoßen, ziehen wir auch erst Buchstabe für Buchstabe zusammen. Im Gegensatz dazu erfassen wir Wörter, die wir kennen mit einem Blick, also als ein Bündel an Informationen.

Zu diesem Thema ist auch der Artikel 3 Varianten, wie das Blickfeld Deine Geschwindigkeit bei Läufen sabotiert spannend.

Foto unsplash_Musicians Journal, Übejournal, Übetagebuch, Noten, Melina Paetzold

Wie Du siehst, gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten, um eine schwere Stelle oder Sechszehntel auf Geschwindigkeit zu üben. Ein langsames und kontrolliertes Tempo ist dabei meist der Ausgangpunkt.

Das Schöne ist: So kannst Du wirklich Abwechslung in Dein Üben bringen und immer wieder neue Reize setzen. Am besten ist es übrigens, wenn wir möglichst viele Sinne beim Lernen mit in den Prozess einbeziehen. So kann es auch hilfreiche sein mental zu üben oder die Stelle zu singen.

Was dabei nie ausbleibt, ist das mehrfache Wiederholen. Und genau das wollen wir uns einmal genauer anschauen.

Übetipp #2 Wiederholen als Experiment

Warum wiederholen wir Passagen beim Üben?

Durch das Wiederholen ein und derselben Passage trainieren wir Abläufe und werden besser darin, sie sicher zu spielen. Dabei wollen wir nicht unbedingt die „eine perfekte Version“ speichern oder automatisieren. Vielmehr geht es auch darum, zu lernen auf verschiedene Varianten besser reagieren zu können.

Dazu passend ist das Zitat von Albert Einstein: „Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Wie lösen wir also dieses Dilemma?

Ich persönlich stelle mir das Wiederholen daher eher wie die Arbeit von Wissenschaftler:innen im Labor vor. Diese verändern bei jedem Versuch immer wieder Kleinigkeiten, bis das Experiment gelingt. Das lässt sich sehr schön auf’s Üben übertragen.

Jede Übestelle wird so zu einem eigenen Experiment und die Versuche entsprechen den Wiederholungen. Wir wiederholen so lange, bis wir das gewünschte Ergebnis erhalten.

Dieses Experimentieren beim Üben empfinde ich als sehr befreiend und motivierend. Zum einen stehe ich mit dieser Haltung nicht mehr so unter Druck, auf der anderen Seite fällt es mir so leichter konzentriert zu bleiben. Probiere es gerne mal aus.

Was wissen wir noch über das Wiederholen?

Erkenntnisse aus der Sportwissenschaft, die bereits auf das Üben übertragen wurden, aber noch nicht empirisch bestätigt sind, zeigen, dass motorische Abläufe schneller gelernt werden, wenn wir nicht immer gleich wiederholen. Wir lernen also schneller, wenn wir bewusst Varianten der Bewegung trainieren.

Wenn wir das Üben eher als Experimentieren sehen, ergeben sich diese Varianten eigentlich von selbst.

Wenn Du das gerne einmal ausprobieren willst, habe ich Dir hier einen groben Leitfaden in Form von drei Fragen vorbereitet, die Du Dir beim Üben stellen kannst.

Während Du mit Frage 1 und 2 die Übestelle besser verstehst, ist Nummer drei zum Experimentieren da. Es kann sein, dass Du mehrmals zwischen der zweiten und dritten Fragen hin- und herspringst.

3 clevere Fragen beim experimentierenden Wiederholen

1. Wo genau hakt es bei dieser Stelle?

Beispiel: Es hakt immer bei dem großen Sprung.

2. Warum hakt es dort?

Dafür könnte eine Anspannung im Körper der Grund sein. Diese verhindert, dass die Tonverbindung sauber und sicher ausgeführt werden kann.

3. Was könnte jetzt helfen, damit das besser gelingt?

Erster Schritt: Probiere zu erspüren, wo der Körper festhält und Spannung aufbaut. Das ist die Grundlage für alle weiteren Schritte.

Musst Du zwingend hunderte Male wiederholen?

Die führenden Wissenschaftler:innen im Bereich physiologische und psychologische Grundlagen des Musizierens Renate Klöppel und Eckart Altenmüller schreiben in ihrem Buch Die Kunst des Musizierens, dass „aufeinanderfolgende hundert- oder gar tausendfache Wiederholungen […] mit Sicherheit Zeitverschwendung sind.” (S.67)

Das sagt natürlich nichts darüber aus, wie oft wir wiederholen sollen, zeigt aber trotzdem, dass viel nicht immer viel hilft.

Trotzdem sind Wiederholungen natürlich das “täglich Brot” beim musikalischen Üben.

Nachdem ich mich im Studium durch monotones Üben aber wie in einem endlosen Hamsterrad gefühlt habe, konnte ich durch die Haltung des Experimentierens, wieder richtig Freude beim Üben erfahren.

Das Ziel für schwere Stellen und Sechszehntel abseits der richtigen Töne

Klar, natürlich geht es um die richtigen Töne. Aus meiner Erfahrung braucht es aber noch einen anderen Faktor, den es beim Üben zu beachten gibt, damit wir diese dann auch sicher abrufen könnten.

Der, wie sich die Stelle anfühlt.

Beim Üben ist mein Ziel, dass sich eine Stelle wirklich rund und selbstverständlich anfühlt. Dieses Gefühl äußert sich u.a. auch so, dass sich schnelle Tempi nicht mehr schnell anfühlen ;).

Andernfalls sitzt mir bei kniffligen Stellen die Angst im Nacken. Ich habe eine Anspannung im Körper, welche mich aus dem Spielfluss reißt und es mir unmöglich macht flexibel reagieren zu können, geschweige denn frei zu musizieren.

Deshalb spielt für mich beim Üben auch das Körpergefühl eine große Rolle.

In diesem Artikel kannst Du übrigens nachlesen, warum das Genießen des Musizierens manchmal so unglaublich schwerfällt und was dazu führt, dass wir so richtig gut abtauchen können.

Wie das clevere Üben und Deine Motivation zusammenhängen

Vielleicht fragst Du Dich nun, wie Du Dich dazu motivieren sollst. Wie es Dir gelingen soll an den schweren Stellen und Sechszehntel-Passagen dranzubleiben?

In einer Langzeitstudie stellt der australische Wissenschaftler Gary McPherson fest, dass die Motivation von Kindern und Jugendlichen für das Üben u.a. davon abhängt, inwieweit sie ihre Fortschritte selbst wahrnehmen konnten.

Kurz: Erfolg beim Üben motiviert.

Nun ist auch bekannt, dass wir Menschen dazu neigen, eher die Fehler zu sehen und das, was noch nicht funktioniert. Besonders krass habe ich das auch selbst im Studium erfahren, wo mich der Perfektionismus fast aufgefressen hat.

Für mich war es ein riesiger Gewinn zu lernen, meinen Fokus bewusst auf den Fortschritt und das, was gut geklappt hat, zu lenken und das Gleiche beobachte ich auch bei meinen Schülern und Schülerinnen.

Solltest Du hier weiter gehen wollen, teile ich in diesem Artikel eine Übung mit Dir, die für mich zentral war und die Dich zum Experimentieren mit Deiner kritischen Stimme einlädt.

Meine ersten wichtigen Schritte zum Üben  als Quality time findest Du auch in meinem Musician’s Journal.

Foto unsplash_Musicians Journal, Übejournal, Übetagebuch, Noten, Melina Paetzold

Ich wünsche Dir frohes Üben!

Melina

Videos zu diesem Thema auf meinem Youtube-Kanal

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Wer schreibt hier?

Hallo, ich bin Melina!

Ich habe Klarinette studiert und bin heute als freischaffende Musikerin in Berlin tätig.

Wie kann modernes Üben, üben im 21. Jahrhundert aussehen, in dem so viele Dinge unsere Aufmerksamkeit verlangen?

Wie können wir effektiv üben, also mit kurzen Übesessions besser werden? Wie kann uns das Musizieren als Ort der eigenen Entfaltung, der Entspannung und des Glückes dienen, als richtige Quality time? Und wie bringen wir beides, Fortschritt und Genießen, in den Einklang?

Diesen Fragen gehen wir hier auf den Grund. Dafür erwarten Dich praktisch anwendbare Ideen und Anregungen für Dein eigenes Üben und Musizieren.

Melina Paetzold Musikerin Klarinette
© Karoline Wolf